Schadenmanagement in der Versicherung: aktuelle Trends & Herausforderungen
Was sind die Innovationen, Trends und Herausforderungen im Bereich Schadenmanagement in der Versicherung? Diese und weitere Themen wurden im Rahmen der zweitägigen, hybriden Veranstaltung „Innovatives Schadenmanagement“ Mitte April 2022 in Köln diskutiert. Ein Einblick in die Trends und Themen.

Ein Schadenfall ist und bleibt der „Moment of Truth“ für Versicherer. Nur wer die Schadenabwicklung einfach, unkompliziert und schnell durchführt, erreicht hohe Kundenzufriedenheit und bindet den Versicherungsnehmer langfristig an sein Versicherungshaus. Der Kongress „Innovatives Schadenmanagement“ Mitte April zeigt, wo aktuell die größten Herausforderungen, Innovationen und Trends im Schadenmanagement liegen.
Die Zukunft des Schadenmanagements
Der Druck auf die Versicherungsunternehmen steigt. Ein hoher Investitionsbedarf für Digitalisierung steht im Konflikt mit der über alle Sparten geforderten Kostensenkung. Auch die zunehmende Vergleichbarkeit der Produkte, sinkende Kapitalerträge durch die anhaltende Niedrigzinspolitik sowie ein Wettbewerb um Schlüsselressourcen wie Partner-Netzwerke oder Fachkräfte stellen die gesamte Branche vor Herausforderungen. Umso wichtiger wird es für Versicherer, ihre Positionierung in den entstehenden Netzwerken zu gestalten und eine „End-to-End-Digitalisierung“ zu ermöglichen.
End-to-End und KI
Der digitale und weitgehend automatisierte Prozess darf nicht mit der Schadenmeldung und elektronischen Schadenanlage im System des Versicherers enden. Neben der Automatisierung der gesamten Prozesskette, von der Meldung des Schadens über die Instandsetzung bis hin zur Auszahlung, ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) unerlässlich. Nur mit einem entsprechenden Abgleich von Daten aus vergleichbaren, abgeschlossenen Fällen können Schäden automatisiert und aus Kunden- wie Unternehmenssicht optimal verarbeitet werden. Künstliche Intelligenz kann dabei zum Beispiel schon bei Eingang der Schadenmeldung ein Scoring-Modell aufstellen und so den Schaden nach seiner Komplexität, Schadenhöhe oder Schadensparte einordnen. KI selektiert somit, welcher Schaden automatisiert abgewickelt werden kann, ein komplexer Fall wird direkt an einen geeigneten Experten weitergeleitet. Diese Verbindung von menschlicher Expertise, hervorragender Nutzbarkeit der Systeme und datenbasierter Entscheidung sorgt zukünftig für eine effektive, effiziente und schnelle Schadenregulierung.
Voraussetzungen für den Einsatz von KI im Schadenmanagement
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Versicherer wichtige Arbeitsschritte entlang des Schadenprozesses voll automatisieren. Darunter fallen:
- Deckungsprüfung
- Betrugsverdacht
- Steuerung und Einsatz von Dienstleistern und Partnern (Sachverständigern, Rechtsanwälte, Werkstätten, Handwerker, uvm.)
Bei der Einführung von KI ist mangelndes Vertrauen in die künstliche Intelligenz eines der größten Hindernisse. Aus diesem Grund gilt es bereits bei der Planung von KI-Projekten das Vertrauen der Menschen zu gewinnen, die mit der KI arbeiten. Eine Sorge ist, dass KI den Arbeitsplatz wegrationalisiert, eine andere, dass KI nicht empathisch genug sei. Schadenexperten behalten auch in KI-gestützten Prozessen die Oberhand. Sie werden zwar von der KI unterstützt, können jedoch immer gezielt eingreifen und handeln, vor allem bei komplexen Schadenfällen oder wenn besondere Betreuung geboten ist. In der Fachwelt spricht man von „Human in the Loop“, eine Art Supervisor, der in kritischen Situationen die weitere Schadenbearbeitung übernimmt. Das heißt aber auch, dass sich die Rolle der Mitarbeitenden in der operativen Schadenbearbeitung ändern wird: vom Schadensachbearbeiter hin zum Datenexperten, der KI-gestützte Ergebnisse interpretiert und nutzt. Und auch das sollte frühzeitig kommuniziert und durch ein Change Management professionell begleitet werden.
Auf der anderen Seite berichten Versicherer von den Zweifeln in den IT-Abteilungen. Entwickler zweifeln an der Umsetzung, da KI-Software nur mit „Trial and Error“ in einem oft langen Anpassungsprozess umgesetzt werden kann. Häufig setzen Versicherer auf externe Berater, die bei der Auswahl und Einführung unterstützen sowie auf „Software as a Service“, bei der Versicherer ein gut funktionierendes Tool am Markt nutzen, das an verschiedenste Backend- und Frontend-Systeme angebunden werden kann. Auch wenn Künstliche Intelligenz zahlreiche Vorteile verspricht, muss jedes Versicherungshaus den Fit zur eigenen Strategie, die Wirtschaftlichkeit und technische Umsetzbarkeit sorgfältig abwiegen.
Schadenmanagement in der Post-Corona-Phase
Die Teilnehmenden der Konferenz sind sich einig: Die Corona-Pandemie wird die Arbeitsweise branchenübergreifend nachhaltig ändern. Etwa 70% der Arbeitnehmer in der Versicherungsbranche wünschen sich, in Zukunft regelmäßig (etwa 3 Tage/Woche) im Homeoffice zu arbeiten. Vor allem für Routineaufgaben, aber auch planerische und kreative Tätigkeiten ist das Homeoffice bestens geeignet. Bei vertrieblichen Aufgaben sowie Aufbau- und Entwicklungsarbeit sollten die Arbeitsgruppen wieder in den Betrieb zurückkehren. Wichtige Themen in der Zukunft sind Fokuszeit, also Time Slots, die für konzentriertes Arbeiten mit klarem Themenbezug zur Verfügung stehen.
Die Rückholungsphase nach der langen Homeoffice-Zeit muss so angenehm und vor allem sicher wie möglich gestaltet werden, da viele Arbeitnehmer sich an die Vorzüge des Homeoffice gewöhnt haben. Anreize wie zum Beispiel kostenlose Mittagessen können hier helfen, die Leute wieder in die Büros zu locken. Das Thema Flexibilität, Arbeitszeiten und Arbeitsort muss dabei klar in den Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträgen geregelt werden.

Unwetterereignisse – Lessons Learned
Gerade die jüngsten Starkregenereignisse – wie im vergangenen Jahr in Nordrhein-Westfahlen und Reinland-Pfalz – machen deutlich, dass eine Versicherung mehr ist als nur ein Verwalter von Policen. Mit gesteigerter Effizienz und der fortgeschrittenen Automatisierung im Schadenmanagement ist eine schnelle Bearbeitung solcher Massenschadenereignisse zwar möglich. Aber die Schadenabteilungen mussten von der Norm abweichen: Da es großflächig keine Strom- oder Internetverbindung gab, konnten die bewährten Online-Schadenmeldungen nicht genutzt werden. Auch mussten die Vertreter vor Ort zum Teil als Seelsorger und Kümmerer agieren, da es nicht nur um Sachschaden ging, sondern um Leib und Leben.
Gruppeninterne Lösungen im Fokus
Viele Versicherungsunternehmen haben deshalb einen Krisenstab eingerichtet, der mit hohem Managementfokus die zentrale Steuerung und Koordination übernahm. Damit konnten auch Bürokratien abgebaut oder ausgehebelt werden, um Sofort-Maßnahmen wie die Beschaffung von Trocknungsgeräten oder das Aussetzen von Fristen rasch durchzusetzen. Doch wie können sich die Versicherungsunternehmen in Zukunft aufstellen? Zum einen muss – sofern es die Größe des Versicherers zulässt – die Marktmacht ausgenutzt werden, um starke Kooperationen mit Dienstleistern (Handwerker, Sachverständige, Werkstätten) aufzubauen, um viele Kunden parallel bedienen zu können. Dabei ist der Trend zu beobachten, dass die Versicherer kompetente Dienstleister aufkaufen, um von deren Technologie und Know-how zu profitieren sowie deren Angebote und Services zum Teil exklusiv nutzen zu können. Der Zusammenschluss fördert auch eine einheitliche und gruppeninterne Lösung im Prozess der gesamten Schadenbearbeitung.
Zweiter Punkt ist, dass Versicherer sich noch stärker mit der Schadenprävention auseinandersetzen müssen. Die Anbindung eines Frühwarnsystems kann beispielsweise helfen, den Versicherungsnehmern via Mitteilung aufs Smartphone aktiv über ein aufkommendes Unwetter zu warnen und den Kunden auffordern sein Auto in die Garage zu fahren oder sich von Bächen und Flüssen fernzuhalten. Dieses Abonnement kann selbstverständlich auch für Nicht-Versicherte genutzt werden.
Pflichtversicherung in der Diskussion
Auch wurde in den Vorträgen häufig von der in den Medien bereits diskutierten Pflichtversicherung für Elementarrisiken gesprochen. Die großen Versicherer halten diese Form für nicht praktikabel. Die Quote derer, die in Deutschland eine Elementarversicherung abgeschlossen haben liegt aktuell bei ca. 65%. Im Ahrtal waren es sogar nur etwa 50% der von der Flut betroffenen Personen. Fakt ist, diese Quote muss erhöht werden, ohne einen Eingriff des Staates in den freien Markt. Eine sinnvolle Option ist aus Sicht der Referenten ein sogenanntes Opt-Out-Modell. Dabei wird bei einem Neuvertrag für Wohngebäude und Hausrat die Elementarversicherung immer eingeschlossen und müsste explizit vom Kunden abgelehnt werden.
Cybercrime – ein unberechenbarer Faktor
Allseits bekannt sein dürfte, dass bei Cyber-Schäden in den letzten Jahren ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen ist. Der noch junge Markt für Cyberversicherungen ist stark umkämpft. Dabei wird die IT-Sicherheit eines Unternehmens immer mehr zum Qualitätssiegel. Es gibt Kunden, vor allem im B2B-Bereich, die wert darauf legen, dass ihr Geschäftspartner eine Cyber-Police besitzt. Für sie stellt diese Police eine Art Qualitätssiegel dar: Der Partner hat sich mit dem Thema Cyber-Security befasst und kritische Sicherheitslücken bereits geschlossen. Bis zum Jahr 2024 rechnet man in Deutschland mit einem Milliardenmarkt bei Cyber-Versicherungen. Doch auch wenn die Schadenquote mit rund 40% vergleichsweise niedrig ist, rechnen Experten mit einem deutlichen Anstieg in den nächsten Jahren. Dabei ist nicht unbedingt der Datenklau die größte Gefahr. Vielmehr sehen die Unternehmen ein Risiko im Ausfall der IT-Infrastruktur und in den damit verbundenen Umsatzverlusten. Anders als viele andere Versicherungssparten kann von Cyberattacken ein unvorhersehbares Gefahrenpotenzial ausgehen, das sich in Frequenzschäden, Großschäden oder gar Katastrophenschäden widerspiegelt. Damit wird die Cyberversicherung eine der herausforderndsten Sparten für Versicherungsunternehmen. Der Grund: Die Rentabilität ist durch die steigende Schadenfrequenz, steigende Schadenhöhen und Kumulrisiken gefährdet. Es sind stetige Marktanpassungen erforderlich.