Schadenmanagement: Zwei Trends unter der Lupe

Was sind die Innovationen, Trends und Herausforderungen im Bereich Schadenmanagement in der Versicherung? Ein Einblick in zwei (Zukunfts-)Themen des innovativen Schadenmanagements.

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Fachartikel, Versicherungswirtschaft

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Trends im Schadenmanagement

EFFIZIENTE SCHADENABWICKLUNG: Der Schlüssel zu hoher Kundenzufriedenheit und nachhaltiger Kundenbindung

Ein Schadenfall ist und bleibt der „Moment of Truth“ für Versicherer. Nur wer die Schadenabwicklung einfach, unkompliziert und schnell durchführt, erreicht hohe Kundenzufriedenheit und bindet den Versicherungsnehmer langfristig an sein Versicherungshaus. Positive Effekte auf die Schadenquote erzielen vor allem Verbesserungen, die

  • die Bearbeitungsdauer,
  • den zum Teil komplexen Schadenprozess
  • und den damit verbundenen Aufwand

reduzieren. Dieser Beitrag zeigt auf, dass künstliche Intelligenz und Nachhaltigkeit zwei große Säulen und damit Megatrends in der Versicherungswelt bilden.

Aktuelle Herausforderungen im Schadenmanagement

Der Druck auf die Versicherungsunternehmen steigt. Ein hoher Investitionsbedarf für Digitalisierung steht im Konflikt mit der über alle Sparten geforderten Kostensenkung. Auch die zunehmende Vergleichbarkeit der Produkte, sinkende Kapitalerträge durch volatile Märkte sowie der Wettbewerb um Schlüsselressourcen wie Partner-Netzwerke oder Fachkräfte stellen die gesamte Branche vor Herausforderungen. Umso wichtiger wird es für Versicherer, ihre Positionierung in den entstehenden Netzwerken zu gestalten und den Schadenprozess „end-to-end“ zu automatisieren. Der digitale und weitgehend automatisierte Prozess darf nicht mit der Schadenmeldung und elektronischen Schadenanlage im System des Versicherungsunternehmens enden. KI wird dabei zum Game Changer.

End-to-End und KI: Die Möglichkeiten von KI im Schadenprozess

KI als Gatekeeper

Künstliche Intelligenz kann zum Beispiel schon bei Eingang der Schadenmeldung ein Scoring-Modell aufstellen und so den Schaden nach seiner Komplexität, Schadenhöhe oder Schadensparte einordnen. KI wird damit zum Gate Keeper: Es selektiert, welcher Schaden automatisiert abgewickelt werden kann. Ein komplexer Schadenfall wird direkt an einen geeigneten Experten weitergeleitet. Diese Verbindung von menschlicher Expertise, hervorragender Nutzbarkeit der Systeme und datenbasierter Entscheidung sorgt für eine effektive, effiziente und schnelle Schadenregulierung. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Versicherer wichtige Arbeitsschritte entlang des Schadenprozesses voll automatisieren. Unter anderem:

  • Deckungsprüfung
  • Betrugsverdacht
  • Steuerung und Einsatz von Dienstleistern und Partnern (Sachverständiger, Rechtsanwälte, Werkstätten, Handwerker und weitere am Schaden beteiligte Organisationen)
KI im Schadenmanagementprozess
KI im Schadenmanagementprozess

Deckungsprüfung

Insbesondere die Deckungsprüfung kann heute schon zu großen Teilen durch KI-gestützte Prozesse abgewickelt werden. Durch die Angaben aus der Schadenmeldung wird geprüft, ob der Schaden versichert ist und der richtige Vertrag als Grundlage hinzugezogen wurde. Dazu kann Künstliche Intelligenz in Form von NLP die angegebenen Texte durchforsten und ermitteln, ob die gewählte Schadenart und Schadenursache zum Schadenhergang passend sind. Das alles sind KI-Aktivitäten, die bereits während der Eingabe in einer Online-Schadenmeldung erfolgen können. Der Kunde erhält somit bereits mit der Schadenmeldung eine Deckungszusage und muss keine Rückfragen oder Verzögerungen erwarten.

KI & Betrugsverdacht

Die Branche schätzt den Schaden durch Versicherungsbetrug auf mehr als 6 Milliarden Euro.1

Um Betrug zu erkennen, identifiziert KI gewisse Muster und Unstimmigkeiten eines gemeldeten Schadens. Vor allem in der Beschreibung des Schadenhergangs kann beispielswiese durch widersprüchliche Angaben mehrerer Personen, oder bei auffälliger Wortwahl eine KI einen Treffer erzielen. Dennoch muss die Betrugserkennungssoftware stetig aktualisiert und mit Daten versorgt werden, um Betrugsfälle immer präziser aufdecken zu können. Das Deep Learning unterstützt dabei, eben diesen maschinellen Lernprozess zu gewährleisten. Dabei muss in einem ersten Schritt nicht unbedingt eine komplexe KI-Anwendung implementiert werden. Mit einfachen Methoden wie einem Abgleich von voraussichtlicher Schadenhöhe im Zusammenspiel mit angegebenen Schadendaten (Art des Schadens, Ursache, Schadenort und der beschädigten Sache) sowie eventuell bereits gemeldeten Schäden des Kunden können in einer Art 1.0 Version vergleichsweise schnell und mit geringem Aufwand Betrugsverdachtsfälle ermittelt werden. Neben der Meldung sowie dem Abruf von Informationen aus dem Hinweis- und Informationssystem (HIS) der Versicherungswirtschaft sind eigene Tools zur Betrugsabwehr schnell und präzise auf unterschiedliche Sparten zu justieren. Positiver Nebeneffekt ist, dass der KI-Einsatz im Rahmen der Betrugserkennung auch abschreckende Wirkung zeigt und die tatsächlichen Betrugsversuche abnehmen.

Quelle: GDV (Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft; Stand 02.05.2024)

KI im Partnermanagement

Von einer effizienten Steuerung der Dienstleister und Partner profitiert nicht nur der Versicherer selbst, sondern bietet auch seinen Partnern einen gewissen Service. Die künstliche Intelligenz hilft dabei, Aufträge an Sachverständige und Handwerker möglichst sinnvoll zu verteilen zum Beispiel im Rahmen einer ökonomischen Routenplanung. Das macht sich beispielsweise bei Großereignissen (z. B. Unwetter) bezahlt, wenn in kürzester Zeit möglichst viele Schäden begutachtet und abgewickelt werden müssen. Hier zeigt sich klar, das Versicherungsunternehmen, die schnelle Schadenprozesse anbieten und den Kunden binnen kürzester Zeit eine angemessene Entschädigung anbieten können im Vorteil sind und so die Zufriedenheit erhöhen und Kunden langfristig binden. Dennoch darf eine persönliche Komponente im Schadenmanagement nie fehlen: Das zeigten jüngst die Hochwasserereignisse zum Jahreswechsel und vor allem das Starkregenereignis in Nordrhein-Westfahlen und Reinland-Pfalz im Juli 2021. Vertreter und Makler agierten vor Ort zum Teil als Seelsorger und Kümmerer.

(mögliche) Hindernisse beim Einsatz von KI im Schadenmanagement

Bestehende Systemlandschaft

Für einige der oben genannten KI-Einsätze gibt es bereits gut funktionierende Software-Lösungen am Markt, die an verschiedenste Backend- wie Frontend-Systeme angebunden werden können. Für Versicherer stellen sich die Fragen: Wann auf eine Kaufsoftware setzen, wann selbst entwickeln und wie in meine bestehende, meist heterogene IT-Landschaft integrieren? Insbesondere wenn veraltete Host-Software im Einsatz ist. Sowohl Eigenentwicklung als auch Auswahl und Integration sind mit Aufwand auf Seiten Fach- und IT-Bereich verbunden. Dennoch sprechen die Ergebnisse für den Aufwand. 

Daten

Man kann es nicht oft genug betonen: Für den Einsatz von KI braucht es Daten – und das in der richtigen Qualität.  

Skepsis

Bei der Einbindung von künstlicher Intelligenz in Schadenprozessen ist mangelndes Vertrauen in die KI eines der größten Hindernisse. Eine Sorge ist, dass KI den Arbeitsplatz wegrationalisiert, eine andere, dass KI nicht empathisch genug sei. Schadenexperten behalten auch in KI-gestützten Prozessen die Oberhand. Sie werden zwar von der KI unterstützt, können jedoch immer gezielt eingreifen und handeln. In der Fachwelt spricht man von „Human in the Loop“, eine Art Supervisor, der in kritischen Situationen die weitere Schadenbearbeitung übernimmt. Das heißt aber auch, dass sich die Rolle der Mitarbeitenden in der operativen Schadenbearbeitung ändern wird: vom Schadensachbearbeiter hin zum Datenexperten, der KI-gestützte Ergebnisse interpretiert und nutzt. Und auch das sollte frühzeitig kommuniziert und durch ein Change-Management professionell begleitet werden. 

Auf der anderen Seite berichten Versicherer von den Zweifeln in den IT-Abteilungen. Entwickler beißen sich an der Umsetzung die Zähne aus, da KI-Software nur mit „Trial-and-Error“ in einem oft langen Anpassungsprozess umgesetzt werden kann. Häufig setzen Versicherer daher auf externe Berater, die bei der Auswahl und Einführung unterstützen sowie auf „Software as a Service“ (SaaS).  

Fazit

Auch wenn Künstliche Intelligenz zahlreiche Vorteile verspricht, muss jedes Versicherungshaus den Fit zur eigenen Strategie, die Wirtschaftlichkeit und technische Umsetzbarkeit sorgfältig abwiegen. Viele Unternehmen müssen hier zunächst noch ihre Hausaufgaben erledigen, um den Schadenprozess auf Digitalisierung 2.0 zu heben, was beispielsweise mit Migrationen der Schadenbestände in eine moderne Softwarearchitektur oder der (Teil-) Automatisierung im Bereich Dokumente und Workflow einhergeht. Erst im Anschluss daran können weiterführende KI-Aktivitäten effektiv umgesetzt werden. 

Exkurs: Nachhaltigkeit im Schadenmanagement

Das Thema Nachhaltigkeit ist längst zum Megatrend in unserer Gesellschaft geworden. Grund genug, auch die Nachhaltigkeit im Schadenmanagement zu beleuchten. Wie können Versicherer ihr Schadenmanagement nachhaltiger gestalten? 

Ökologische Maßnahmen wie der Papierverzicht oder die Einsparung von Fahrten zum Kunden oder in die Agentur sind längst bekannt und meist umgesetzt: Mail-Versand, Online-Schadenmeldungen und Kundenportale sei Dank. Auch Foto- oder Video-Apps, mit den Kunden selbst die beschädigte Sache fotografieren oder filmen können gibt es schon im Portfolio vieler Versicherungsunternehmen. Sicherlich steckt in solchen Anwendungen noch viel Potenzial, um einen Schaden schnell und effizient abzuwickeln und CO2 einzusparen.  

Noch einen Schritt weiter gehen Versicherer, die eine Schadenvermeidungs-Strategie fahren. Dabei geht es schlicht darum, Schäden schon vor ihrer Entstehung weitestgehend zu verhindern oder zumindest das Risiko zu minimieren. Eine Variante, die zum Teil schon praktiziert wird, ist die Verwendung von Klima- und Wetterdaten. Sobald eine Unwetterlage aufkommt, kann der Versicherer mit einem Frühwarnsystem Kunden im betroffenen Gebiet vorab warnen, was per Mail, SMS oder Push-Nachricht in einer App möglich ist. So können beispielsweise bei einer drohenden Unwetterlage die betroffenen Versicherungsnehmer vorab informiert werden, sie sollen Fenster und Türen schließen, Fahrzeuge unterstellen und sich von Bächen und Flüssen fernzuhalten. Dieses Abonnement einer Schadenprävention kann selbstverständlich auch für Nicht-Versicherte genutzt werden und so auch zu einer Neukundengewinnung beitragen. 

„Grünes“ Schadenmanagement zielt jedoch auch darauf ab, beschädigte Sachen effizient und ökonomisch zu reparieren. Dafür eignet sich speziell für die KFZ-Versicherung auch ein Blick auf den Gebrauchtteilemarkt, der bei Versicherungsunternehmen bisher nicht im Fokus steht. Dabei können viele Bauteile gerade bei älteren Fahrzeugen deutlich kostengünstiger ersetzt werden, wenn geprüfte Gebrauchtteile verwendet werden. Das Potenzial einer nachhaltigen und gleichzeitig günstigeren Alternative zu neuen Bauteilen ist groß. Ein ähnliches Potenzial ist SmartRepair (z. B. lackschonende Ausbeultechniken oder punktuelle Reparaturlackierungen) zuzuordnen, das sich schon heute immer mehr etabliert. Hier wird statt dem Tausch eines ganzen Bauteils auf die Ausbesserung eines Blechschadens oder Steinschlags im Rahmen der Instandsetzung Wert gelegt. Doch Vorsicht vor Greenwashing. Trotz aller sinnvollen Maßnahmen im Rahmen der Nachhaltigkeit: Wenn mit dem Nachhaltigkeitsaspekt geworben wird, schauen Kundinnen und Kunden mittlerweile genau hin.  

Autor

Raphael Karg ist als Manager bei der Convista tätig und verfügt über große fachliche wie technische Kenntnisse im Bereich des Schadenmanagements. Seit mehr als 12 Jahren begleitet er Projekte mit Schwerpunkt auf Bestands-, Vertriebs- und Kundensysteme, sowie die Migration von Schäden im Bereich der Komposit Versicherung. Zusätzliche Expertise hat er sich im Bereich des Nachhaltigkeits-Managements angeeignet.

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