Rechnungszinssenkung 2022: Welche Auswirkungen hat die Senkung für Lebensversicherer?

Welche Auswirkungen zieht die Rechnungszinssenkung nun für die Lebensversicherer nach sich?

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Fachartikel, Versicherungswirtschaft

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Der Gesetzgeber hat am 27.04.2021 die schon lange von der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) und dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geforderte Absenkung des Höchstrechnungszinses von aktuell 0,9 Prozent auf 0,25 Prozent beschlossen. Die letzte Anpassung des – landläufig auch als „Garantiezins“ bezeichneten – Höchstrechnungszinses datiert aus dem Jahr 2017. Dieser Zins ist für die Kalkulation von Produkten der Lebensversicherung maßgeblichSeit Beginn 2022 dürfen Versicherer im Neugeschäft nur noch Produkte anbieten, deren Beiträge auf Basis des abgesenkten Garantiezinses kalkuliert wurden.

Auswirkungen auf das Produktdesign

Aufgrund der andauernden Niedrigzinsphase ist mittelfristig mit weiter sinkenden Erträgen am Kapitalmarkt zu rechnen, was sich auf die Ausgestaltung des Produktdesigns auswirken wird.

Es ist davon auszugehen, dass bei den Lebensversicherern künftig reine Risikoabsicherungen wie beispielsweise Berufsunfähigkeitsversicherung oder Todesfallversicherung noch mehr in den Fokus rücken werden. Sparprodukte im privaten Segment der Altersvorsorge hingegen entwickeln sich zu Nischenprodukten – oder im Fall der Riesterrente gar zu einem Auslaufmodell.

Im Bereich der betrieblichen Altersversorgung dürfte der Trend weggehen von den klassisch kalkulierten hin zu kontenbasierten Produkten mit der Möglichkeit zur Partizipation an Kapitalmarktinstrumenten. Hier wird spannend zu beobachten sein, inwieweit Garantien weiterhin eingepreist werden und welche Methodiken zur Absicherung dieser Zusagen künftig Eingang in die Produktgestaltung finden werden. Denn: In welchem Umfang Produkte gänzlich ohne Garantien am deutschen Markt einen Käufer finden, ist schwer einzuschätzen.

Generell stellt sich die Frage nach dem Spielraum bei Produktinnovationen: Da Versicherungen weiterhin den Risikocharakter aufrechterhalten müssen, sind reine Kapitalanlageprodukte in Form von Fondssparplänen o. Ä. derzeit nur schwer vorstellbar.

Auswirkungen auf das Bestandsportfolio

Neben den Tarifen des Neugeschäftes hat die Absenkung des Garantiezins auch Auswirkungen auf das Bestandsportfolio. Es ist damit zu rechnen, dass die Lebensversicherer erneut eine Absenkung bei den Rentenfaktoren vornehmen werden. Damit sinkt für den Kunden die zu erwartende Rente gegenüber der bei Vertragsabschluss prognostizierten Rente, sofern nicht eine garantierte Rente vereinbart wurde.

Darüber hinaus könnten auch Zuzahlungen in einen bestehenden Vertrag oder gar Dynamiken mit neuen Rechnungsgrundlagen erfolgen, die in niedrigeren Leistungen resultieren. Letzteres muss allerdings durch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen gedeckt sein.

Auswirkungen Bestandsmanagement

Insgesamt ist zu erwarten, dass insbesondere für Versicherer mittlerer Größe der Handlungsspielraum in Hinblick auf das Bestandsmanagement kleiner wird. Sofern eine effiziente Bestandsverwaltung mit kurzer Time-to-Market nicht vorhanden ist bzw. nicht durch den Umstieg auf ein modernes System erreicht werden kann, ist die Neugeschäftsfähigkeit gefährdet. Aus Kosteneffizienzgründen könnte ein Abstoßen von wenig ertragreichen Bestandssegmenten eine Option sein.

Steht die klassische Lebensversicherung damit kurz vor dem Aus?

Sicherlich werden einige Versicherer im Zuge der Rechnungszinsabsenkung ihre strategische Ausrichtung neu überdenken müssen. Sie müssen für ihr Unternehmen einen geeigneten Weg finden, der irgendwo zwischen dem Rückzug aus dem Neugeschäft und der Schärfung des Profils durch Segmentfokussierung und/oder Produktinnovation liegt. Dazu bleibt abzuwarten, ob die Kunden nach wie vor auf die Sicherheiten der Lebensversicherung setzen oder aber andere Anlageformen wie Fonds oder Immobilien bevorzugen werden – auch wenn diese ein größeres Verlustrisiko mit sich bringen.

 

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Autoren

Ulrich Kraus – Senior Management Consultant

Ulrich Kraus ist Experte für aktuarielle Fragestellungen im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung. Mit seinen über 15 Jahren Erfahrung berät er Versicherungsunternehmen hinsichtlich Produktdesign, Bestandsmigrationen und der Entwicklung von internen Modellen im Solvency II-Kontext.

Torsten Gillessen – Managing Partner

Torsten Gillessen ist Managing Partner im Geschäftsbereich Versicherungswirtschaft und leitet den Bereich Aktuariat.  Mit seinen 24 Jahren Erfahrung im aktuariellen Versicherungsbereich berät er die Kunden schwerpunktmäßig im Bereich der Einführung von Bestandsverwaltungssystemen und Migration von Lebensversicherungsbeständen.

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